DUODEETZ
Fritz Bornstück + Andrej Golder
Eröffnung: 11 November, 19:00 pm
Dauer: 12 November — 28 November 2021
Öffnungszeiten: Freitag – Sonntag, 13:00 – 18:00
„Andrej Alexandrowitsch Golder fiel vor lauter Neugierde aus dem Fenster, schlug auf und brach sich das Genick. Da lehnte sich Fritz Bornstück aus dem Fenster und begann zu dem Toten hinabzuschauen, doch vor lauter Neugierde fiel auch er aus dem Fenster, schlug auf und brach sich das Genick. Dann fiel ein dritter Maler aus dem Fenster, dann ein vierter, dann eine fünfter. Als der sechste Maler aus dem Fenster gefallen war, hatte ich keine Lust mehr zuzuschauen, und ging zum Markt, wo man, wie es heißt, einem Blinden einen aufblasbaren Pinsel geschenkt hat.“
~ Andrej Golder und Fritz Bornstück über ihre künstlerische Verbindung, frei nach Daniil Charms
Wenn zwei Maler zusammen ausstellen, sucht man als Besucher intuitiv und als Autor dieses Texts sogar explizit nach Gemeinsamkeiten und Parallelen, nach Verbindungen und Entsprechungen. Man kann sich nun gut vorstellen, dass die beiden nacheinander aus einem Fenster in der UdK ins Künstlerleben gefallen (oder auch gepurzelt; würdevoll stolziert ist nicht vorstellbar) sind. Beide teilen die Neugierde an romantischer Malerei, an alltäglichen oder surrealen Abgründen, an der Wirkung von Farbe und Form, aber auch am Trash. Beide schneiden sich auf jeweils unterschiedliche Weise ihre kunsthistorisch wohl informierte Schneise in der meist gegenständlichen Malerei (und Bildhauerei). Ein sklavisches Geschichtsbewusstsein ist beiden jedoch fremd; unplanbare Spontaneität an der Leinwand und eine diebische Freude am Grenzwertigen stachelt sie jeweils zu einer eigenen Lösung an, die ihre spezifische, unverkennbare Handschrift ausmacht.
Der Titel der Ausstellung verweist auf den doppelten Kopf („Deetz“ stammt vermutlich ethymologisch vom französischen „tête“ für „Kopf“), den sich beide immer wieder beim Fenstersturz verletzen, manche Genicke halten offensichtlich etwas mehr aus als andere. Denkbar unterschiedlich ist der dennoch meisterhafte Umgang mit „Bad taste“, also vermeintlich schlechtem Geschmack. „Wo der eine Platz lässt, füllt der andere die Lücke mit Wucht.“ (Golder/Bornstück). Bornstücks Stilleben sind eine Anhäufung von gebrauchter, in die Jahre gekommener, leicht bizarrer Technik mit ästhetisch in Szene gesetztem, vermutlich unbrauchbarem Müll; man kann sich die Vergangenheit der Gegenstände selbst bildlich ausmalen. Oder man könnte meinen, Golders über die Grenzen der Anatomie hinausgehenden, verletzlichen Figuren, in weitere Landschaften eingebettet, waren die Urheber. Wie Sisyphus, der seine berühmte ewige Aufgabe ja eventuell auferlegt bekommen hat, weil er dem Tod stets ein Schnäppchen schlug, springen die beiden aus purer Neugier immer wieder aus den Fenstern ihrer mittlerweile selbst gebauten oder gemalten Türme, stets ironisch und selbstironisch, aber immer wieder auf den Deetz. Man hat den Eindruck, Vanitas fletscht dabei lächelnd die Zähne.
Andrej Golders Liebe zum Trash- und Death Metal, zu Gore und Grindcore, aber eben auch Barockmusik lässt sich unschwer in den blutigen Auswürfen, zermetzelten, fleischigen Portraits und defigurierten Protagonisten seiner Bildwelten ablesen. Splitterbrüche erstrahlen in barockem Licht der silbrig schimmernden Glühbirnen im Sprühlacknebel. Die zum Teil spiegelglatten, schwarzen Oberflächen tragen fette Berge Ölfarbe, derbe gestische, expressive Malspuren und eben ja, eine ordentliche Portion ‚Bad Taste‘.
Auch in Fritz Bornstücks Bildern begegnen wir allerhand Abseitigem. Die aus der Ferne gestochen scharf wirkenden Bildgegenstände zerfallen bei näherer Betrachtung in abstrakt anmutende malerische Momente. Auch hier spiegelt sich in der Malerei die Begeisterung für Trash-Jazz, Harshnoise und No-Wave Musik: Stumpfe, abgeschabte Oberflächen, durchschimmernde Farben von übermalten Schichten und dann noch ein rätselhafter Smiley, für den es einen Hinweis im Untertitel gibt.
Es gibt dennoch neben den thematischen Verbindungen eine weitere wesentliche Gemeinsamkeit: der Hang zu Komik und Witz, die auch gerne mal derb oder abgründig sein dürfen. Dies reflektieren nicht nur ihre Arbeiten. Aber die Objekte werden nie dem Spott preisgegebenen, man entwickelt unterbewusst eine empathische Beziehung zu den Figuren oder Gegenständen. Ernsthafter Humor ist eine der schwierigsten Disziplinen, gerade in der Malerei, in der man ja vom Atelier aus kein direktes Verhältnis zu seinem Publikum aufbauen kann. Wenn man nun im SMAC die Treppe hoch- und runterläuft, werden einem weitere Verbindungen zwischen den Arbeiten der lange Jahre in gewisser Weise komplementär arbeitenden Maler auffallen, so unterschiedlich sie auch auf den ersten Blick sein mögen.
Noch eins: Bitte achten wenigstens Sie bei aller Neugierde auf Ihren Kopf beim Besuch der Ausstellung; den Künstlern scheint ihr Deetz offensichtlich nicht so wichtig zu sein.
Text: Peter Ungeheuer